Die alternde Bevölkerung stellt in vielen europäischen Ländern eine wachsende Herausforderung für das Gesundheits- und Pflegesystem dar. Besonders in Österreich hat sich die sogenannte 24-Stunden-Pflege als Antwort auf die Bedürfnisse älterer Menschen etabliert, die kontinuierliche Betreuung benötigen. Dieses Modell wirft die Frage auf, ob es auch für Deutschland eine Lösung sein könnte, um dem Pflegenotstand entgegenzuwirken.
Was ist die 24-Stunden-Pflege?
Bei der 24-Stunden-Pflege handelt es sich um ein Betreuungsmodell, bei dem Pflegekräfte in den Privathaushalten der zu pflegenden Personen leben und rund um die Uhr zur Verfügung stehen. Diese Form der Pflege ermöglicht es vielen älteren Menschen, so lange wie möglich in ihren eigenen vier Wänden zu bleiben, was nicht nur ihre Lebensqualität erhöht, sondern auch die öffentlichen Pflegeeinrichtungen entlastet.
In Österreich ist dieses Modell seit 2007 durch das Hausbetreuungsgesetz gesetzlich geregelt. Es wird hauptsächlich von Pflegekräften aus Osteuropa getragen, insbesondere aus Ländern wie Rumänien und der Slowakei. Die Kosten sind im Vergleich zu Pflegeheimen oft niedriger und werden durch staatliche Förderungen wie das Pflegegeld und steuerliche Absetzbarkeit der Kosten erleichtert.
Vorteile des österreichischen Modells
Individuelle Betreuung: Der größte Vorteil der 24-Stunden-Pflege liegt in der persönlichen und bedarfsorientierten Betreuung. Jede zu betreuende Person hat spezifische Bedürfnisse, die durch eine stationäre Pflege oft nicht vollständig abgedeckt werden können. Die Pflegekraft im Haushalt kann auf individuelle Gewohnheiten und Vorlieben eingehen, was die Lebensqualität erheblich steigert.
Vermeidung von Isolation: Gerade ältere Menschen leiden häufig unter Einsamkeit. Durch die kontinuierliche Anwesenheit einer Pflegekraft wird nicht nur die physische, sondern auch die emotionale Betreuung sichergestellt. Dies kann präventiv gegen psychische Erkrankungen wie Depressionen wirken.
Entlastung der Angehörigen: Oft übernehmen Familienangehörige die Pflege eines bedürftigen Familienmitglieds. Dies führt nicht selten zu Überforderung und psychischen Belastungen. Die 24-Stunden-Betreuung entlastet die Familien, da sie die professionelle Pflege mit dem familiären Umfeld kombiniert.
Kosteneffizienz: Im Vergleich zu den Kosten eines Pflegeheims oder einer intensiven häuslichen Betreuung durch ambulante Pflegedienste ist das österreichische Modell für viele Familien erschwinglicher, vor allem dank staatlicher Unterstützungsmaßnahmen.
Herausforderungen der 24-Stunden-Pflege
Trotz der zahlreichen Vorteile gibt es auch Herausforderungen, die mit diesem Modell einhergehen. Die größte Herausforderung betrifft die Arbeitsbedingungen der Pflegekräfte. Pflegekräfte, die in Haushalten leben und rund um die Uhr im Einsatz sind, arbeiten oft unter Bedingungen, die nicht immer den gesetzlichen Mindeststandards entsprechen. Auch wenn das österreichische Modell eine bessere rechtliche Grundlage als in anderen Ländern hat, gibt es immer noch Bedenken hinsichtlich der Entlohnung, Arbeitszeiten und Sozialversicherung.
Ein weiteres Problem ist die Abhängigkeit von ausländischen Pflegekräften. In Österreich wird die 24-Stunden-Pflege fast ausschließlich von Migrantinnen durchgeführt, oft in Rotationsmodellen, bei denen sie für einige Wochen oder Monate arbeiten und dann in ihre Heimatländer zurückkehren. Diese Abhängigkeit könnte sich in Zukunft als instabil erweisen, da sich die wirtschaftlichen Bedingungen in den Herkunftsländern verbessern und weniger Arbeitskräfte für die Pflege ins Ausland gehen möchten.
Ist die 24-Stunden-Pflege ein Modell für Deutschland?
Deutschland steht, wie Österreich, vor dem Problem einer alternden Bevölkerung und eines akuten Pflegenotstands. Die Frage, ob das österreichische Modell auch für Deutschland adaptiert werden könnte, ist daher hochaktuell. Noch immer sind in Deutschland, der Not geschuldet, tausende von Schwarzarbeiterinnen in der häuslichen Pflege aktiv. Ein hohes Risiko für Auftraggeber und Auftragnehmer.
Rechtliche und finanzielle Aspekte: In Deutschland gibt es bereits Ansätze, die der 24-Stunden-Pflege ähneln, jedoch fehlt es an einer umfassenden gesetzlichen Regelung wie in Österreich. Eine Einführung eines vergleichbaren Modells in Deutschland müsste mit klaren gesetzlichen Rahmenbedingungen einhergehen, um Missbrauch und schlechte Arbeitsbedingungen zu verhindern. Ein wesentlicher Punkt wäre auch die staatliche Unterstützung durch Pflegegelder und Steuererleichterungen, um die Kosten für Familien tragbar zu machen.
Kulturelle Akzeptanz: In Deutschland sind Pflegeheime und ambulante Pflegedienste weit verbreitet. Eine Verlagerung hin zur 24-Stunden-Pflege erfordert ein Umdenken in der Gesellschaft, was die Art und Weise betrifft, wie ältere Menschen betreut werden. Viele Familien könnten die Vorstellung begrüßen, dass ihre Angehörigen in vertrauter Umgebung bleiben können, doch gleichzeitig gibt es auch Vorbehalte gegenüber einer Pflege durch fremde Personen im eigenen Haushalt.
Lösung des Fachkräftemangels: Deutschland kämpft mit einem massiven Fachkräftemangel im Pflegebereich. Wie in Österreich würde die Umsetzung einer 24-Stunden-Pflege vermutlich ebenfalls auf Arbeitskräfte aus dem Ausland angewiesen sein. Hier könnte Deutschland von den Erfahrungen Österreichs profitieren, indem es gezielt Maßnahmen zur Anwerbung und Integration von Pflegekräften schafft.
Qualitätssicherung: Ein weiterer wichtiger Aspekt wäre die Sicherstellung der Qualität der Pflege. In Österreich gibt es Schulungen und Zertifizierungen für 24-Stunden-Pflegekräfte, aber auch hier ist das Niveau nicht einheitlich. Deutschland müsste sicherstellen, dass die Pflegekräfte sowohl fachlich als auch sprachlich auf einem hohen Niveau arbeiten, um die bestmögliche Betreuung zu gewährleisten.
Ein Vorbild mit Potenzial, aber auch Risiken
Das österreichische Modell der 24-Stunden-Pflege bietet viele Vorteile, vor allem die Möglichkeit für ältere Menschen, in ihrem vertrauten Zuhause betreut zu werden, und die Entlastung der Familienangehörigen. Für Deutschland könnte dieses Modell eine Lösung sein, um dem Pflegenotstand und vor allem der Schwarzarbeit entgegenzuwirken. Allerdings müssten rechtliche, finanzielle und arbeitsrechtliche Rahmenbedingungen geschaffen werden, um sicherzustellen, dass das System sowohl für die zu pflegenden Menschen als auch für die Pflegekräfte fair und tragfähig ist.
Die 24-Stunden-Pflege könnte also durchaus ein zukunftsweisendes Modell für Deutschland sein, aber nur unter der Voraussetzung, dass die Herausforderungen ernst genommen und Lösungen für die strukturellen Probleme gefunden werden. Die Politik ist gefordert!